Warum ich aufgehört habe, perfekt sein zu wollen – und endlich bei mir ankam.
Ich wollte besser sein. Immer. In allem. Nach meinem Unfall, als mein Körper plötzlich anders funktionierte als vorher, hat sich in mir etwas verhakt: Ich wollte es der Welt zeigen. Dass ich nicht nur mithalten kann, sondern besser bin. Mehr leiste. Mehr aushalte. Mehr verstehe. Und vor allem: Dass ich niemals stehenbleibe.
Ich habe mich über Jahre daran gewöhnt, an meinem eigenen Ideal zu arbeiten. Es gab immer ein nächstes Ziel, eine neue Optimierung, eine noch bessere Version von mir. Ich war nicht zufrieden mit „gut genug“. Denn „gut genug“ fühlte sich nach Aufgeben an. Nach Schwäche. Nach Resignation.
Heute sehe ich das anders.
Und das war ein langer Weg.
In meinen Beratungen begegnen mir viele, die denselben Anspruch an sich stellen: Noch fitter. Noch produktiver. Noch reflektierter. Noch achtsamer. Es ist ein modernes Wettrüsten mit sich selbst. Doch wenn ich genauer hinschaue – bei anderen und bei mir – entdecke ich oft eine stille Erschöpfung hinter all dem Streben.
Was mir geholfen hat, umzudenken, war nicht der große Knall, sondern eine kleine, leise Frage: Wozu eigentlich das Ganze?
Was wäre, wenn ich einfach gut genug bin? Nicht perfekt. Nicht überragend. Einfach: gut genug?
Ich bin kürzlich auf eine Studie gestoßen, die das noch einmal eindrücklich bestätigt hat. Dort ging es nicht um Glück oder Erfolg – sondern um die Frage, wie Menschen ihr Leben bewerten, wenn sie auf ihr Leben zurückblicken. Und die Forscher fanden etwas Spannendes heraus: Es sind nicht die makellosen Lebensläufe, nicht die Hochleistungskarrieren, die die größte Zufriedenheit hinterlassen. Sondern die Leben, die reich waren an Erfahrung. An Brüchen. An Tiefe. Nicht das Maximum zählt – sondern das Erlebte. Nicht das Ideal – sondern das Gelebte.
Ich habe lange geglaubt, dass ich meine Amputation wettmachen muss. Dass ich irgendwie „drüber“ sein muss – besonders stark, besonders schnell, besonders kompetent. Heute erkenne ich: Ich muss niemandem mehr etwas beweisen. Ich bin nicht perfekt. Ich bin nicht immer leistungsfähig. Nicht immer ausgeglichen. Aber ich bin ich.
Und das ist genug.
Wenn ich heute mit Menschen arbeite, die in einer Krise stecken – sei es durch Krankheit, Unfall oder andere Einschnitte –, dann geht es oft nicht um Ziele. Es geht um Erlaubnis. Die Erlaubnis, einfach nur Mensch zu sein. Nicht ständig an sich zu arbeiten. Nicht jeden Fehler zu korrigieren. Nicht jede Schwäche zu kaschieren. Sondern zu sagen: So bin ich. Und das ist in Ordnung.
Dieser Text ist kein Aufruf zum Stillstand. Es ist ein Aufruf zur Maßhaltung. Zur Milde mit sich selbst. Zu einem Leben, das nicht nur an Leistung gemessen wird, sondern an Verbindung – zu sich selbst, zu anderen, zur eigenen Geschichte.
Denn manchmal ist „gut genug“ genau das, was wir brauchen, um wirklich erfüllt zu leben.
Bleib in Bewegung, körperlich und emotional,
Dein Thomas
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