Seit dem ersten Tag meiner Bein-Amputation 1985 kämpfe ich mit Phantomschmerzen. Sie sind also über 30 Jahre hinweg mein ständiger Begleiter. Medikamente, wie Opioide und Antikonvulsiva die Therapie dagegen. In den Nullerjahren wurde die Behandlung auf neue medikamentöse Verfahren umgestellt. Die Schmerzsituation besserte sich, aber die Nebenwirkungen blieben gleich hoch. Bei Attacken war an Studium oder Arbeit nicht zu denken. Nach alternativen oder sogar medikamentenfreien Behandlungsformen zu suchen, kam mir bis dahin schlicht nie in den Sinn.
Vor fünf Jahren machte ich im Rahmen einer Studie zum Thema Telerehabilitation erste Erfahrungen mit der Spiegeltherapie. Die erste Sitzung mit einem Spiegel werde ich nie vergessen – ich war beeindruckt vom Energieimpuls in meinem Kopf und diesem unbeschreiblich schönen warmen Gefühl mein amputiertes Bein wiederzusehen. Meine Entscheidung fiel schnell: Spiegeltherapie muss ich weitermachen. Im Laufe der Studie haben IT-Entwickler eine App programmiert, die die Spiegeltherapie auf einem Tablet möglich macht. Ihnen ist das grandioses gelungen, denn sie konnten dieses warme und intensive Gefühl auf die App übertragen. Das für mich Beste an der Arbeit mit der App ist: die Dosierung der Schmerzmittel konnte stetig reduziert werden. Zwanzig Prozent meiner Maximalmenge von vor fünf Jahren reichen mittlerweile aus.
Den nächsten Turbo im Rahmen meiner Schmerztherapie konnte ich vor ein paar Wochen mit EMDR zünden. EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing und ist eine evidenzbasierte psychotherapeutische Methode, die ursprünglich für die Verarbeitung von emotionalem Stress nach psychischer Traumatisierung entwickelt wurde. Über EMDR können dysfunktional gespeicherte und belastende Erinnerungen neu prozessiert, desensibilisiert sowie im Gehirn neu assoziiert und heilsam integriert werden. Klingt kompliziert, aber der Effekt ist einfach sensationell. Kommt es trotz Schmerzmittel und Spiegeltherapie-App zu einer Schmerzattacke, habe ich quasi einen psychologischen Schalter zur Verfügung, mit dem ich den Schmerz ausschalten kann. Klingt gespenstisch – funktioniert phänomenal.
Mein Psychotherapeut und ich arbeiten an dem Prozess mit dem Ziel, die Schmerzerinnerung so zu verändern, dass belastende Schmerzattacken gar nicht mehr auftreten. EMDR gilt als eine der effektivsten Methoden zur Behandlung von Traumafolgestörungen und den damit einhergehenden emotionalen Belastungen. Nach über 30 Jahren Phantomschmerzen medikamentenfrei aus meinem Leben zu verbannen, wäre natürlich eine Sensation. Ich bin mir sicher, da geht was.
Entscheidend an allen Maßnahmen zur Eindämmung von Phantomschmerzen ist die Verbesserung der Lebensqualität. Den Alltag besser meistern zu können, weil die Schmerzen und die Nebenwirkungen der Schmerzmittel in den Hintergrund treten und ihren Schrecken verlieren. Der Phantomschmerz ist kein Feind mehr, sondern wird zu einer Art Lebensbegleiter, der an alte Zeiten erinnert. Mein ganz persönliches Highlight ist das angenehme Gefühl in meinem Körper, wenn ich das fehlende Bein wieder wahrnehme. Unbeschreiblich schön!