Wer Höchstleistungen erbringt, geht immer einen Grat entlang: riesige Erfolge feiern und grandios scheitern liegen oftmals nah beieinander. Als erstes denke ich dabei an Leistungssportler. Kein Spitzensportler darf sich dauerhaft Selbstzweifel leisten. Sonst ist er raus aus dem Geschäft. Ohne das mit Zahlen untermauern zu können, gibt es meiner Wahrnehmung nach weitaus mehr Menschen, die am Spitzensport gescheitert sind als solche, die es geschafft haben.
Letztere nehmen heutzutage auch mentale und psychologische Hilfe in Anspruch. Glücklicherweise ist das kein Tabuthema mehr, aber das Reden darüber erlebe ich noch immer als die Ausnahme. Wie geht es dem „Leistungssportler des Alltags“? Behinderten Menschen, die unter enormem sozialen Druck stehen? Wer hilft ihnen? Ich kann jetzt nicht für alle reden, aber über meine Erfahrungen.
Nach meinem Unfall lag ich für ein paar Tage im Koma. Nachdem ich aufgewacht war, setze man mir einen sogenannten Experten ans Bett. Schließlich hatte man mich als selbstmordgefährdet eingestuft. Der Psychologe war vom Mannheimer Zentralinstitut. Eine der besten Adressen in Deutschland. Der Experte war nach zwei Sitzungen der Meinung, dass ich keine psychologische Hilfe benötige. Ich sei stabil und meine Familie intakt. Ende der Hilfe. Kleine Anmerkung: zu dem Zeitpunkt stand ich unter Morphium Einfluss – ich war quasi zu gedröhnt. Ich hätte dem Psychologen alles erzählt. Meine Meinung zu dem Thema war glasklar: Ich bin doch nicht irre und brauche keine Hilfe.
Ein fataler Irrtum!
Szenenwechsel: 10 Jahre nach dem Unfall. Ein Sommerfest in Kiel in traumhafter Kulisse an einem Naturschutzgebiet. Ich unterhielt mich mit dem Gastgeber. Er war an meiner Geschichte sehr interessiert und hat intensiv nachgefragt. Mit jeder Frage wurde es unangenehmer für mich. Ich ging komplett in den Widerstand gegen ihn, machte dicht. Und irgendwann knallte es – innerlich. Er hatte eine tiefe Wunde aufgespürt und aufgerissen. Der Eiter schoss nur so raus. Ich war fix und fertig, aber anstatt die Wunde zu heilen, habe ich sie wieder für Jahre luftdicht verschlossen. Ich war nicht bereit mich dem Heilungsprozess zu stellen. Bis zu dem Moment als der Behindertensportler Oscar Pistorius seine Lebensgefährtin erschoss. Ich weiß nicht mehr warum, aber dieser Vorfall war der Ausgangspunkt psychologische Hilfe anzunehmen.
Der Anfang war schwer. In den ersten Sitzungen wurden alte nicht ausgeheilte Verletzungen ans Tageslicht geholt. Die Schmerzen waren wieder da, aber der Heilungsprozess wurde gestartet. Ich musste lernen nachgiebiger mit mir umzugehen. Mir selbst zu verzeihen und vergeben. Mir wurde klar, dass ich über drei Jahrzehnte wie ein angeschossenes Tier umherlief. In diesen Jahren war ich eigentlich nie in der Lage, eine achtsame Beziehung zu einem anderen Menschen zu entwickeln. Sich vergeben ist schnell daher gesagt, aber sich im Herzen zu vergeben ist ein langer Prozess, vielleicht der längste meines Lebens.
Kontrolle aufgeben und Routinen durchbrechen erzeugt große Ängste. Sie sind jedoch nichts im Vergleich gegen den Schmerz, wenn man es einmal gewagt hat, diese Angst vor Kontrollverlust zu überwinden. Jenseits dieser Grenze liegen Zufriedenheit, Selbstliebe und innerer Reichtum. Es ist kein leichter Weg, aber der für mich einzig richtige, um sich weiter zu entwickeln.